Renommierter Schweizer Regisseur
MORE THAN HONEY – DIE BIENE ALS NACHHALTIGE BOTSCHAFTERIN
INTERVIEW MIT MARKUS IMHOOF
Die Biene ist die Botschafterin von nachhaltigem Konsum und Produktion. Eine Welt ohne Bienen wäre für unsere biologische Artenvielfalt und damit letzten Endes für unser Überleben undenkbar. Das Bienensterben widerspiegelt den Zustand unserer Umwelt und Gesellschaft. Der Physiker Albert Einstein soll gesagt haben: «Wenn die Bienen aussterben, sterben vier Jahre später auch die Menschen aus». Der renommierte Regisseur Markus Imhoof war schon früh mit der einzigartigen Welt der emsigen Insekten vertraut und fühlt sich auch heute noch mit ihnen verbunden. Unter seiner Regie wurde im Jahr 2012 der Schweizer Dokumentar-film MORE THAN HONEY über Honigbienenvölker in Kalifornien, der Schweiz, China und Österreich veröffentlicht. Es ist kein weiterer Film über das Medienereignis Bienensterben. Es geht um das Leben, um Menschen und Bienen, um Fleiss und Gier, um Superorganismen und Schwarmintelligenz. Mit einem Arsenal an Bildtechniken sind überwältigende und einzigartige Bilder entstanden.
MARKUS IMHOOF
Wurde am 19.9.1941 in Winterthur geboren. Er stu-dierte Germanistik, Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Zürich und besuchte die Film-klasse der Kunstgewerbeschule in Zürich. Zwei erste Dokumentarfilme wurden in der Schweiz verboten, aber mehrfach ausgezeichnet. 1981 wurde sein Spielfilm «Das Boot ist voll» an der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet und für den Oscar nominiert. Sein Film «More than Honey» ist der er-folgreichste Schweizer Dokumentarfilm aller Zeiten. 2015 gründete er die Aurelia Stiftung zusammen mit Thomas Radetzki, welche sich für den Erhalt der Bienen einsetzt.
EnVogue: Sie haben einen eindrücklichen Dokumentarfilm über Bienen gedreht. Wie kamen Sie auf das Thema?
Markus Imhoof: Die Biene war schon immer unser Familientier. Mein Grossvater war Inha-ber der Konservenfabrik Imhoof & Casserini. Er hatte ein grosses Bienenhaus, das mich schon als Kind beeindruckte. Die Bienen haben unsere Obstbäume und auch die Essig-gurken bestäubt. Das Bienenhaus meines Grossvaters war für uns Kinder ein magischer Ort. Faszinierend, aber auch unheimlich, wenn wir uns barfuss näher wagten zu dem aufgeregten Summen in der Sommerhitze. Und mittendrin der alte Mann mit Strohhut, ohne Schutz. Die Bienen taten ihm nichts, als ob sie ihn kannten.
EnVogue: Somit wuchsen Sie in einer Imker-familie in der Schweiz auf…
M.I: Die Bienen haben unsere Familie ernährt sie waren Teil der Konservenfabrik meines Grossvaters. Er hat mir erklärt, warum seine Bienenhäuser in den Obst- und Beerengärten stehen: «Ein Drittel von allem, was wir essen, gäbe es nicht ohne Bienen». Aber jetzt sterben sie, in der ganzen Welt. Die Nachrichten sprechen von einem Mysterium. Ich habe mich auf die Reise gemacht, um Lösungen des Rätsels zu suchen.
EnVogue: Auf den Film mussten Sie sich sicher gut vorbereiten, oder?
M.I: Ja, in der Tat. Zuerst bin ich viel in der Welt herumgereist – mit nur einem Bleistift und einem Block ausgerüstet. Auf diese Weise habe ich schon sehr viele spannende Kontakte geknüpft und zahlreiche Erfahrun-gen und Ideen gesammelt.
EnVogue: Haben Sie also ganz ohne An-sprechpersonen begonnen?
M.I: Nein, das nicht. In meiner Familie hat uns die Biene schon immer verfolgt. Mei-ne Tochter und mein Schwiegersohn sind Bienenforscher, früher in Australien, jetzt in den USA. In Australien begann auch meine Reise, und durch sie habe ich das Neuste über den Zustand der Bienen erfahren. Unsere Gespräche am Frühstückstisch haben mich motiviert, dem rätselhaften Bienensterben auf den Grund zu gehen.
EnVogue: Wie sind Sie dann auf weitere Referenzpersonen gekommen?
M.I: Durch die Forschung meiner Tochter und meines Schwiegersohns habe ich schnell Bekanntschaften in Kalifornien gemacht, und jeder hat mich wieder weitervermittelt. Nach meiner ersten Reise hatte ich schon 14 potenzielle Protagonisten.
EnVogue: Und worauf stiessen Sie auf Ihrer Reise?
M.I: Verblüfft traf ich in China auf Regionen, wo die dunkle Zukunft der Agrarindustrie schon stattfindet: Vor lauter Chemie gibt es dort keine Bienen mehr, und die Menschen müssen zum Bestäuben selbst auf die Bäume klettern.
EnVogue: Die grösste Bedrohung der Biene kommt also aus der Landwirtschaft?
M.I: Perverserweise ja. Die Landwirtschaft, die von den Bienen lebt, ist selbst eine der grössten Bedrohungen für die Bienen gewor-den. Will man effektiv arbeiten, dann muss alles gerade sein und möglichst weitläufig. Die ganzen Hecken und das sogenannte Ab-fallland, was eigentlich der Rest Natur wäre, das wird mehr und mehr beseitigt, und die Artenvielfalt wird wegrationalisiert. Mit der Ausrede, die Welt ernähren zu müssen, haben wir eine immer totalitärere Landwirt-schaft geschaffen. Und alles Totalitäre muss seine Feinde mit harter Hand bekämpfen, sonst funktioniert es nicht. Monokulturen sind ein Fest für Parasiten, die haben hier ein Schlaraffenland. Darum müssen Pestizide und Herbizide gesprüht werden. An den Einfahr-ten zu den Mandelplantagen standen Plakate mit der Warnung: «Hier riskieren Sie, sich krebserregenden Chemikalien auszusetzen.» Der Food Report der UNO empfahl schon vor 18 Jahren, dass die Menschheit nur mit einer klein strukturierten und lokalen Landwirt-schaft zu ernähren sei; doch heute wird das Gegenteil gemacht.
EnVogue: Pestizide können den Bienen stark zusetzen. Fanden Sie bei Ihren Dreharbeiten dafür Beispiele?
M.I: Ein ganz einfaches Beispiel bietet der Mais: Da gibt es diesen Schädling, den Mais-zünsler, der die Maispflanzen angreift. Und dieser Schädling wird mit einem Nervengift aus künstlichem Nikotin bekämpft, wobei die Samen gebeizt und das Pestizid beim Aus-bringen in die Luft gewirbelt werden, weil die Sämaschinen mit Pressluft arbeiten. Bereits 2008 ereignete sich ein grosser Bienenunfall im Rheintal in Deutschland. Dabei sind Un-mengen von Bienen gestorben.
Jetzt muss das Pestizid gemäss gesetzlicher Verordnung besser am Samen haften, und beim Säen muss weniger Luftdruck verwen-det werden. Das Nikotin wird aber von der Pflanze aufgenommen, weil sie sich so gegenden Schädling wehrt. Und wenn die Pflanze schwitzt, und die Bienen davon Wasser-tropfen heimbringen, dann vergiften sie den Stock. Denn da, wo Wasser ist, holen sie es. Und auch in den Pollen steckt das Gift. Neonikotinoide sind jetzt für den Maisanbau in Deutschland, Italien und Frankreich verbo-ten. Aber beim Raps sind sie seltsamerweise erlaubt. Das Spritzen des Nervengiftes Neo-nicotinoid in der Vollblüte – auch tagsüber während des Bienenflugs – ist im Rapsanbau gängige Praxis. Solche Blütenspritzungen führen zu schwerwiegenden Gesundheits-schäden bei Bienen und immer wieder auch zu bedenklichen Rückstandsbelastungen im Honig, den wir dann gegen Halsweh essen. Agrarchemie-Konzerne machen damit immer noch einen Jahresumsatz von über einer halben Milliarde und kämpfen um Wieder-zulassung für Mais. Wohl deshalb hat diese Industrie jeden Kontakt mit mir verweigert.
EnVogue: Was ist dann die Lösung, um das Bienensterben zu verhindern?
M.I: Die Agrochemie schiebt alle Schuld für das Bienensterben auf die (aus Asien ein-geschleppte) Milbe Varroa destructor, die seit 40 Jahren eines der grössten Probleme für die Honigbiene darstellt. Darüber ist zwischen der chemischen Industrie und den Imkern eine Art Glaubenskrieg entbrannt. Das Bienensterben ist aber kein Mysterium: Die Bienen sterben nicht einfach an Pestizi-den, Milben, Antibiotika, Inzucht oder Stress, sondern an der Summe von allem. Die Bienen sterben am Erfolg der Zivilisation.
EnVogue: Dank neuester Technik werden wir im Film Zeugen von unglaublichen Aufnah-men von Bienen im Flug und Makroaufnah-men aus dem Bienenstock. Wie haben Sie das gemacht?
M.I: Es gibt an mehreren Stellen im Film Aufnahmen, in denen die Kamera einer Biene im Fluge folgt und ganz nah dran bleibt. Da werden viele Zuschauer sicherlich denken, das seien Trickaufnahmen. Wir haben jedoch für die Flüge Minihelikopter eingesetzt, also motorisierte Drohnen mit einer kleinen Ka-mera. Viele Berater sagten mir: «Das ist doch viel zu aufwändig, wir bauen dir eine 3D-Bie-ne, die kann alles und sticht nicht.» Aber das wollte ich auf keinen Fall. Es sind alles echte Bienen, die man im Film sieht. Wir haben viel mit Geruchsstoffen gearbeitet, also in der Sprache der Bienen kommuniziert und sie so überredet. Aber der wirksamste Trick war Geduld. Und wir hatten unseren «Bienenflüs-terer», der mitgereist ist.
EnVogue: Viele Menschen wollen jetzt den Bienen helfen. Was kann man selbst für die Bienen tun?
M.I: Ich glaube, jeder kann etwas an seinem ökologischen Fussabdruck verbessern. Es geht nicht nur um die Bienen, sie sind gleich-sam die Stellvertreter oder die Chiffre für etwas Allgemeineres. Ich glaube, es geht um einen bewussteren Umgang mit uns und der Umwelt. Je mehr in den Gärten durchs ganze Jahr blüht, desto besser. Es müsste das ganze Jahr lang etwas blühen, denn die Bienen brauchen durchgehend Nahrung.
Man kann aber auch in seinem Garten oder auf dem Balkon dieselben Fehler machen wie die Agrarindustrie: Die Pestizide, die für die Kleingärtner angeboten werden, auch für Balkonpflanzen, sind im Kleinen das, was im ganz Grossen geschieht. (Inzwischen gebe ich meinem Hund ein harmloses Mittel gegen Zecken und Flöhe, und nicht mehr die Nervengifte, für die geworben wird. Das ist dasselbe Neonicotinoid, das die Bienen um-bringt.) Jeder kann in seinem eigenen Bereich etwas dazu beitragen.
EnVogue: Noch eine letzte Frage: Wie wird es Ihrer Meinung nach mit den Bienen weiter-gehen?
M.I: Im 2013 entschieden die EU und die Schweiz, die drei gefährlichsten Pestizide zu verbieten. Aber noch immer wird dagegen prozessiert. Und in sogenannten «Notzulas-sungen» der Nervengifte sollen kurzfristig Ernten verbessert werden. Aber die Lösung kann nicht sein, vergiftet zu überleben.
Wir müssen unser Verhältnis zur Natur grund-sätzlich überdenken und danach handeln. Der Mensch ist selber Teil der Natur. Wenn wir das nicht mit Demut und darauf basierender Innovation akzeptieren, werden die Bienen –und wir mit ihnen – untergehen.