Donnerstag, 16. Januar 2025

Neue Wellpappenanlage am Standort Oensingen

Michael Bauer, Gebietsverkaufsleiter bei BHS Corrugated Maschinen- und Anlagenbau GmbH in Weiherhammer, Deutschland begleitet das Wellpappenanlageprojekt bei Bourquin SA.

 

enVogue (enV): Herr Bauer, BHS Corrugated hat eine spannende Historie, die weit bis Anfang 1700 zurückreicht. Können Sie diese in wenigen Worten zusammenfassen und dabei erläutern, wie das – lange als Staatsbetrieb geführte – Unternehmen zu einem Familienunternehmen wurde.

Michael Bauer (MB): Der Ursprung der BHS (Bayerische Berg-, Hütten- und Salzwerke AG) geht bis in das Jahr 1717 zurück. Damals wurde in der nördlichen Oberpfalz, Bayern durch herzoglichen Erlass ein Hüttenwerk gegründet. Daraus ist auch der Ort Weiherhammer entstanden. Der «Weiher» war dafür da, um den «Hammer» des Hüttenwerks anzutreiben, daher resultiert der Name des Ortes. Im Jahr 1960 wurde der Geschäftsbereich der BHS erweitert: neben Gusseisen wurden nun auch Wellpappenmaschinen konstruiert und gefertigt. Von da an wurde der Geschäftsbereich stetig erweitert, bis die staatliche BHS – Bayerische Berg-, Hütten- und Salzwerke AG 1993 privatisiert wurde. Die zwei wesentlichen Persönlichkeiten in diesem Zusammenhang waren der Vater von Lars und Christian Engel, Paul Engel und Edmund Bradatsch. Auf deren Mut und Pioniergeist blicken wir mit Demut und grösstem Respekt zurück. Persönlich hatte ich als junger Mitarbeiter der BHS die grosse Ehre, Herrn Edmund Bradatsch noch kennenlernen zu dürfen.

enV: BHS Corrugated ist heute einer der weltweit führenden Hersteller von Wellpappenanlagen. Wie hat sich Ihr Unternehmen in den letzten Jahren entwickelt – wo liegt der Zielfokus?

MB: Unser Zielfokus liegt in erster Linie darin, unseren Kunden als Partner über den gesamten Lebenszyklus hinweg die richtigen und individuell passenden Lösungen im Bereich von Maschinen und damit verbundenen Dienstleistungen anzubieten. Gleichzeitig sind wir gerade dabei, uns im Bereich Digitalisierung der Fabrik, im Bereich Digitaldruck an der Wellpappenanlage und im Bereich automatisierter Shuttles zur Papierversorgung der WPA weiterzuentwickeln.

Idee dahinter ist es, den gesamtheitlichen Ansatz des Prozesses der Herstellung von Wellpappenverpackungen zu optimieren. Wir sind der Überzeugung, dass für die nächsten Schritte im Bereich der Herstellung von Wellpappenverpackungen nicht mehr nur auf inkrementelle Verbesserungen in den jeweiligen Teilbereichen geachtet werden kann. Ziel muss es sein, den Fluss vom Auftragseingang bis zur Auslieferung zu revolutionieren.

enV: Wie Bourquin SA ist BHS ein reines Familienunternehmen. Welche langfristigen Ziele verfolgen Sie? Wo liegt der Zielfokus?

MB: Die Idee der Verantwortung für die eigenen Mitarbeiter und die Umwelt mit wirtschaftlich sinnvollen Entscheidungen in Einklang zu bringen ist prägend für unser Unternehmen. Was die BHS als familiengeführtes Unternehmen auszeichnet, ist ebenso das Verständnis, die Veränderungen anzunehmen und im gleichen Masse visionäre Entscheidungen zu treffen. In den mehr als 300 Jahren Geschichte des Unternehmens musste es zwangsläufig in jeder Generation Entscheider gegeben haben, die das Unternehmen immer wieder neu ausgerichtet haben. Die BHS von heute ist nicht mehr die BHS von vor 30 oder 300 Jahren. Was aber bleibt, ist die Verantwortung, der nächsten Generation gute Startmöglichkeiten für deren Entscheidungen zu ermöglichen.

enV: Covid-Pandemie, Ukrainekrieg, Energiekrise, Engpässe in der Supply Chain – wie gehen Sie als Anlagenbauer mit diesen Herausforderungen um und wie denken Sie, muss sich ein Unternehmen wie BHS zukünftig aufstellen?

MB: Die Antwort darauf gibt unsere Eigentümerfamilie damit, dass wir in allen Teilen der Welt regional aufgestellt sind. Wir verfügen weltweit über mehr als 20 lokale Kundendienst-Organisationen. Darüber hinaus haben wir bald 11 verschiedene Fertigungs-, Montage und Logistikstandorte in Deutschland, den USA, Shanghai, Tschechien, Brasilien, Italien, Malaysia und in Kürze auch in Indien und der Türkei. Also «Minimierung von Risiken durch Diversifizierung».

enV: «Nachhaltigkeit» ist in aller Munde. Auch im aktuellen BHS-Projekt bei Bourquin SA spielt Nachhaltigkeit ein grosse Rolle – nicht nur wegen der Photovoltaikanlage, die parallel zur Installation der neuen BHS Wellpappenanlage realisiert wird. Wie geht Ihr Unternehmen mit diesem Thema um?

MB: Dieses Thema ist bei uns ganz oben in der Geschäftsleitung aufgehängt. Wir verfügen über ein eigenes Team, welches sich mit ESG beschäftigt und veröffentlichen auch einen Nachhaltigkeitsbericht. Nachhaltig im direkten Zusammenhang mit unseren Anlagen bedeutet auch, Ihnen ein Produkt zu liefern, welches effizient mit den eingebrachten Materialien, insbesondere Papier, umgeht. So schlagen wir 2 Fliegen mit einer Klappe, auf der einen Seite wird Abfall und Ressourcenverschwendung vermieden und auf der anderen Seite werden Kosten eingespart.

enV: Im dynamischen Markt der Wellpappenfertigung ist eine effektive Planung entscheidend für den Erfolg. Wie sieht laut Ihnen die ideale Planungsstrategie in einem Wellpappenunternehmen aus?

MB: Als Vertriebsingenieur sieht man über die Welt verteilt sehr viele und unterschiedliche Herangehensweisen hinsichtlich der Planungsstrategien von Wellpappenwerken. Eines haben aber alle gemeinsam: Es wird ein lokaler Markt mit individuellen Kundenanforderungen hinsichtlich der Verpackung bedient. Das Wichtigste ist somit, seine Kunden und deren Bedürfnisse vor Ort zu kennen und diese etwas besser als erwartet zu erfüllen. Persönlich bin ich der Überzeugung, dass die Nutzung von Digitaldruck direkt an der Wellpappenanlage die Planungsstrategien völlig neugestalten werden. Es wird nicht mehr darum gehen, einen Kunden innerhalb von 2 oder 3 Wochen beliefern zu können, oder grosse Mengen an vorgefertigten Verpackungen in Hochregallagern auf Abruf zur Verfügung zu stellen. Time to market in kürzester Zeit, auf aktuelle Ereignisse reagieren zu können und gleichzeitig Abfall und damit Kosten bei vorgefertigten Verpackungen zu vermeiden sind nur einige Stichworte.

enV: Wie unterstützen Sie die Fehlerbehebung im Bedarfsfall? Geht es in Richtung „Fernzugriff“ oder persönlich vor Ort durch erfahrene Techniker? Oensingen ist etwas über 500 Kilometer von Weiherhammer entfernt…

MB: Es ist die richtige Mischung aus beiden Welten, wobei im Vergleich zu früher deutlich schneller über den Fernzugriff reagiert werden kann. Fernwartung statt Fernreisen ermöglicht es definitiv, Stillstands-Zeiten zu reduzieren und die Produktivität der Anlage zu erhöhen. In der Vergangenheit gab es wenige Möglichkeiten, kleinere Themen, die in 30 Minuten erledigt werden konnten, über einen Remote-Zugriff zu lösen. Viel Zeit ging durch das Reisen verloren. Dass es aber ohne erfahrene und bestens ausgebildete Techniker nicht funktioniert, versteht jeder. Aus diesem Grund haben wir z.B. auch 2 Service-Techniker in der Schweiz, welche sich sehr gut mit unserem Service und Helpdesk in Weiherhammer ergänzen.

enV: BHS Corrugated bietet von der Einzelmaschine über die komplette Wellpappenanlage bis hin zur intelligenten Wellpappenfabrik alles rund um Wellpappenherstellung an. Im Fokus dabei: Produktivität in der Wellpappenherstellung. Was gilt es besonders zu berücksichtigen?

MB: Diese Frage wird von vielen wahrscheinlich unterschiedlich beantwortet werden, je nachdem worauf der Fokus liegt (Sheetfeeder, Boxplant, Hochqualität etc.). Persönlich bin ich schon seit Studienzeiten und aufgrund meiner Masterarbeit ein sehr grosser Fan von KAIZEN und Lean Management. Für mich eines der wichtigsten Themen hierbei ist, dass jedem Mitarbeiter in einem produzierenden Werk der schlechteste Mitarbeiter bekannt ist, er heisst TIM WOODS. Dieses Acronym steht für transport, inventory, motion, waiting, over production, over processing, defects, and skills utilization. Wenn diese Punkte tagtäglich beachtet werden, hat man schon viel gewonnen.

enV: Das neue «Herzstück» auf unserem modern ausgerichteten und umgebauten Firmengelände in Oensingen ist diese neue BHS-Wellpappenanlage auf einer Länge von über 120 Metern. Was sind aus Ihrer Sicht die herausragenden Merkmale unserer Wellpappenanlage?

MB: Eine der wichtigsten Projektanforderungen war, dass die gesamte Breite des Produktionsspektrums hinsichtlich Wellpappenfluten und Doppelkombinationen wieder bei Ihnen im Hause produziert werden kann. Die Maschine kann somit C, B, E, D und F-Welle verarbeiten. Ebenso verfügt die Maschine über die letzten Entwicklungen im Bereich präventiver Instandhaltung und Condition- Monitoring (in unserem Hause iCorr genannt). Ziel ist es, Sie jederzeit über den Zustand der Maschine informiert zu halten und mögliche Stillstände vorbeugend zu vermeiden.

enV: Gut geschulte Mitarbeiter an der Wellpappenanlage sind ein wesentlicher Schlüssel zu unserem Erfolg. Nur eine sehr gute BHS-Anlage allein reicht nicht. Für die heutigen Produktionsmethoden und Automatisierungsgrad ist die Schulung von Bedienund Wartungsarbeiten wichtig. Was unternimmt BHS in dieser Richtung?

MB: Für den Anlauf und Hochlauf Ihrer neuen WPA haben wir zusammen mit Ihrer Geschäfts- und Projektleitung ein zweistufiges Konzept entwickelt, welches sich über die ersten 18 Monate nach Anlauf der Maschine hinwegstreckt. Gleich zu Beginn haben wir ein Trainingspaket von 6 Wochen vereinbart, bei der ein erfahrener WPA-Trainer aus unserem Hause ihre Bedienmannschaft begleitet. Dann erfolgt in den nächsten 18 Monaten kontinuierliches Training im Bereich der Instandhaltung und Produktivitätssicherung.