EnVogue: Einige Branchen erholen sich vermutlich schneller als andere. Durch die jüngsten Corona Massnahmen, die vom Bundesrat beschlossen wurden, wird es vermutlich zu einem «proaktiven Szenario« kommen. Gewisse Bereiche, wie z.B. Sportbekleidung und Beauty/Wellness kommen «schneller» wieder in Fahrt, andere Bereiche werden die Auswirkungen noch länger zu spüren bekommen. Was ist Ihre Meinung dazu, was hören Sie aus dem VSV?
PK: Das sehen wir ähnlich und auch positiver als noch vor ein paar Wochen. Wir glauben, dass die Schweiz wieder einmal als positiver «Sonderfall» durch die Krise kommt. Aber auch bei uns dürften mittelfristig vor allem die Sortimente an der Spitze der Maslowpyramide etwas mehr leiden.
EnVogue: «Dominiert» Amazon weiter? «Ordnet» sich der Markt neu? Sind laut Ihnen Modelle wie z.B. Online-Offline-Kooperationen wie Zalando Connected Retail durch Covid-19 in Zukunft beliebter?
PK: Amazon dominiert in der Schweiz nicht, in anderen Ländern stimmt die Aussage aber. Der Markt ordnet sich in dem Sinne schneller neu, als dass Markplätze und grosse Anbieter noch mehr Nachfrage erhalten haben als in der Vergangenheit und in absoluten Zahlen sehr stark zulegen. Alternative Modelle wie Zalando Connected Retail haben es in der Schweiz immer noch schwer Akzeptanz im stationären Handel zu finden (wobei Zalando aktuell das Modell nicht mehr anbietet). In Deutschland sieht dies anders aus. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass der Weg des stationären Modehandels früher oder später über «connected» Modelle arbeiten muss.
EnVogue: Wie schätzen Sie die «Internationalisierung» ein? Glauben Sie dass die Haupt-Zielmärkte Schweizer Online-Händler (West-Europa) stärker unter den Folgen der Coronakrise leiden, könnte sich der E-Commerce-Fokus «verschieben»?
PK: Nachdem nur sehr wenige Schweizer Onlinehändler echt internationalisiert sind und diese meistens in einem Segment über den «Preisführern» agiert, könnte schon die eine oder andere Delle eintreten. Ich denke aber, dass die meisten Anbieter so gut positioniert sind, dass sie sich eine kleine Leidensphase erlauben können.
EnVogue: Wir stellen fest, dass die Covid-19-Krise die Digitalisierung nochmals zusätzlich «gepusht» wurde. Auch der VSV hat entsprechende Events «virtuell» durchgeführt. Glauben Sie, dass derartige Konzepte auch in Zukunft neue Zielgruppen erschliessen können?
PK: Vielleicht erstaunt die Antwort: Ich glaube die Mitglieder/Mitarbeiter haben nun mal genug Videokonferenzen gehabt und sehnen sich danach, sich auch mal wieder bei Kaffeeund Gipfel auszutauschen. Aber es ist schon auch so, dass wir vor allem «frontale» Veranstaltungen sehr gut auch virtuell durchführen können. Ich denke, dass auch Hybridmodelle immer mehr Zuspruch finden werden. Wir organisieren Events vor Ort, übertragen aber per Video auch für diejenigen, die nicht dabei sein können. Ganz neue Zielgruppen mit reinen virtuellen Events zu erschliessen ist möglich, aber es hat seine Grenzen. Die bleibende Rest-Anonymität einer Videokonferenz ist halt einfach nicht wahnsinnig «verbindlich».
EnVogue: Ist ein Mentalitätswandel feststellbar? Hat die «Geschwindigkeit, Wandel und Kreativität» im E-Commerce zugenommen?
PK: Das hat mich bei allen Problemen in der Krise am meisten gefreut: Die unheimliche Kreativität von Menschen und Unternehmen. Es war wunderbar mitanzusehen, wie in keiner Zeit Projekte, Lösungen und Kooperationen aus dem Boden gestampft wurden, die sonst mehrere Monate oder gar Jahre benötigen. Ich bin schwer beeindruckt und es hat eindrücklich gezeigt, wie agil Schweizer Händler sein können – und damit meine ich alle Händler.
EnVogue: In der aktuellen Krise gibt es auch Online-Händler, die verlieren, weil die Ware aus Fernost ausbleibt. Wie geht man damit in der Versandbranche in der Schweiz um? Was sind Ihre Erfahrungen?
PK: Das sind dann die schmerzvollen Erfahrungen, die ein Unternehmen vielleicht auch den Kompass neu ausrichten lässt. Ich denke, das geht nicht nur dem Onlinehandel so. Auf die andere Seite wurden nun diese Unternehmen belohnt, die noch echten Warenbestand führen und schnell liefern konnten. Vielleicht auch wieder mal Anlass die sog. Risikolosen Dropshipping Modelle zu hinterfragen.